Ich, Hanae, stehe in der Küche in Beaucaire und koche. Die Schulglocke der Schule gegenüber läutet. Ich schaue auf die Uhr. 18:00 Uhr. Die Kinder verlassen die Schule, durchschreiten ein hohes Sicherheitstor aus Metall. Es sind Grundschüler.
Das erinnert mich an meinem Schulalltag. Vor 20 Jahren. Ich besuchte das französische Lycée in Wien…
Es ist Winter. 17:00 Uhr. Die Schulglocke läutet. Wir stürmen raus aus der Schule, hinaus in die Dunkelheit. Frei! Endlich! Jetzt schnell nach Hause.
Dort warten allerdings Hausaufgaben. Viele Hausaufgaben. Vorbereitungen für Schularbeiten. Tests. Unendlich viel Papierkram muss erledigt werden. Auch ein paar Seiten aus dem Geschichtebuch müssen auswendig gelernt werden. Denn für ernsthaftes Lesen, Lernen, und Verstehen … dafür ist die Zeit zu knapp.
Meine Mutter macht es mir auch nicht leicht. Für sie zählen nur Noten. Sehr gute Noten. Sie kontrolliert regelmäßig, ob ich auch gut auswendig gelernt habe. Ich fühle mich wie ein wehrloser Papagei, der etwas nachplappert ohne sich darüber Gedanken gemacht zu haben. Eigentlich weiss ich nicht einmal, was ich da erzähle. Oder was ich gelernt habe. Denn zu diesem Zeitpunkt ist es schon 23:00.
Nach der Prüfung durch meine Mutter geht es ins Bett. 23:30. Um 6:30 reißt mich der Wecker aus dem Schlaf. Schlaf kommt zu kurz. Die Noten stimmen jedoch. Meine Mutter ist zufrieden. Ich unglücklich.
Mir fehlt soviel. Spaß mit Freunden. Freizeit. Die kenne ich nicht. Teils wegen der Schule. Teils wegen meiner Mutter, die selbst in diesem System gefangen ist.
Das französische Schulsystem ist krankhaft, denke ich, viel zu sehr auf Noten und auf Leistung gedrillt. Sogar in den Ferien wurden wir mit Hausaufgaben überschüttet, damit uns ja nicht langweilig wird.
Am liebsten hätte ich mich aufgelehnt. Gegen die Schule. Gegen die Lehrer. Gegen meine Mutter. Nur habe ich mich nicht getraut.
Diesen Schritt habe ich erst 20 Jahre später gewagt. Mit meinem Mann. Mit unseren Kindern. Schon zu Beginn unserer Beziehung habe ich zu Alexander gesagt: „In eine französische Schule gehen unsere Kinder nur über meine Leiche!“
Nur habe ich mich geirrt. Deutsche Schulen sind auch nicht viel besser. Alle Schulen sind im Grunde ziemlich gleich.
Natürlich gibt es gute Ansätze, Lehrer die sich bemühen mehr projektorientiert zu arbeiten etc. Und das ist auch gut so.
Nur für uns, für Alexander und mich, ist dieses Kapitel abgeschlossen. Wir sind wirklich froh hier einen Schlussstrich gezogen zu haben.
Nicht dass es einfach wäre Homeschooling zu betreiben. Schon gar nicht mit vier Kindern. Aber immerhin haben wir es schon nach zwei Monaten geschafft, dass unsere Kinder mit Freude und Neugierde lernen und immer mehr lernen wollen.